Das Moor auf der Vorderalp in Maienfeld ist gerettet: Was und wer steckt dahinter?
Moore sind von unschätzbarem Wert für die Artenvielfalt. Doch vielen Schweizer Mooren geht es schlecht. Anders sieht es in Maienfeld aus, dort konnte eine weitere Zerstörung verhindert werden.
Flurin Grass | 05.07.2024
Auf den ersten Blick gleicht die Region einer idyllischen Berglandschaft. Die Wiesen sind saftig grün und die Berge im Hintergrund sind sogar Ende Juni noch mit Schnee bedeckt. Nur die von den Wolken verdeckte Sonne trübt das perfekte Bild. Beim Betreten der Wiese folgt ein erster, verwunderter Blick. Der Boden fühlt sich weich an, zu weich. Der Blick gleitet auf das Schuhwerk. Die Schuhe sind nass und schlammig, denn sie stehen auf einem selten gewordenen Flachmoor.
Blick von Oben auf die Moorlandschaft «Obersäss»/Vorderalp.
Bild: Flurin Grass
Auf gut 2000 Meter über Meer, eingeklemmt zwischen den Bündner Bergen, liegt das Gebiet «Obersäss». Es befindet sich auf der Gemeindegrenze zwischen Jenins und Maienfeld.
Mit gut 20 Hektaren Fläche (rund 28 Fussballfelder) ist das Moor «Obersäss» das grösste auf der Vorderalp. Ein unscheinbarer Ort. Doch dass es noch existiert, grenzt an ein kleines Wunder. Einer der Personen, die dies verwirklicht haben, ist der Geograf Markus Camastral.
Der «Retter» des Moores: Geograf Markus Camastral
Bild: Flurin Grass
Der Traum vom intakten Moor
Markus Camastral ist einer der «Retter» des Flachmoores auf der Vorderalp. Er beschäftigt sich in der ganzen Schweiz mit Revitalisierungen von Mooren. Der Geograf erkannte auch in Maienfeld die Bedrohung und setzte sich aktiv für den Erhalt des Moores ein.
Zusammen mit dem Zweckverband Falknis, der Stadt Maienfeld und lokalen Unternehmen konnte das Flachmoor vor einer weiteren Zerstörung bewahrt werden. Unterstützt wurden sie durch Gelder des Bundes, des Kantons Graubünden und durch Beiträge der AXA. So erstrahlt die Landschaft nun in neuem Glanz, wie das kommende Video zeigt.
Die Verbindung zwischen dem Geografen und dem Flachmoor in Maienfeld entstand aus reinem Zufall. Wie Markus Camastral erklärt, wurde das Gebiet um die Vorderalp neu kartiert. Im Rahmen dieser Arbeiten fand der Kartierer im ehemaligen Moor alte Entwässerungsgräben, aber auch Teilflächen in intaktem Zustand. Da sich die beiden Personen schon persönlich kannten, wurde Markus Camastral auf das bedrohte Moor aufmerksam gemacht.
Zusammen mit dem Kanton Graubünden und der Stadt Maienfeld als Grundeigentümerin, sowie dem Bewirtschafter der Fläche, dem Alp-Vogt, wurde die Situation analysiert. «Da hat man sich zum Glück gefunden. Es ist eine sehr schöne Zusammenarbeit entstanden und im Rahmen dieser Arbeit haben wir hier das Gebiet renaturieren, respektive wieder vernässen, können», führt der Geograf aus. So entkam das Moor dem Schicksal vieler Moore in der Schweiz.
Zerstörung der Schweizer Moore
Es sind eindrückliche Zahlen, die die Spezialisten erwähnen. Gut 90 Prozent der Moore in der Schweiz wurden zerstört und damit auch der Lebensraum zahlreicher seltener und geschützter Tier- und Pflanzenarten. Auch wenn die Feuchtgebiete nur rund ein halbes Prozent der Fläche der Schweiz ausmachen, beherbergen sie doch gut ein Viertel der bedrohten Pflanzenarten der Schweiz.
Flyer der Rothenthurm-Initiative : "Ihr Ja rettet Rothenthurm - und das letzte grosse Hochmoor Naturparadies"
Bild: Schweizerisches Sozialarchiv/Sozarch_F-Pa-0002-153
Um den Zerstörungstrend aufzuhalten wurde bereits im Dezember 1987 die Rothenthurm-Initiative vom Schweizer Volk angenommen. Sie sieht vor, dass die Lebensräume unter strengen Schutz gestellt werden. Seither ist die Fläche der Moore in der Schweiz in etwa stabil geblieben. Trotzdem kritisierten Pro Natura, BirdLife Schweiz und WWF Schweiz bereits 2017 enorme Defizite im Vollzug der gesetzlichen Pflicht.
Auch mit der Rothenthurm-Initiative wird in 15 Prozent aller Moore die typische Moorvegetation zunehmend verdrängt.
Dass die Zerstörung dieses Lebensraumes nicht nur ein «Unterländer»-Problem ist, zeigt der Blick in den Kanton Graubünden. Das Amt für Natur und Umwelt Graubünden geht davon aus, dass auch hier in den letzten 120 Jahren gut 80 bis 90 Prozent der Moore zerstört wurden. Aktuell gibt es noch 4265 Flachmoor-Objekte im Kanton, wovon 225 von nationaler Bedeutung sind. Von den Hochmooren sind noch 90 Objekte übrig geblieben.
Interaktive Karte der Flachmoore von nationaler Bedeutung (Stand 2021).
Die Rettung des Moores
Auch in Maienfeld war das Moor teilweise zerstört. Zurückzuführen ist dieser Zustand auf Entwässerungs-massnahmen während dem Zweiten Weltkrieg. Es wird vermutet, dass polnische Internierte vor rund 80 Jahren diese Gräben, zur Ansiedlung von Pflanzen mit hohem Futterwert, angelegt haben. In etwa dürften diese Gräben gleich ausgesehen haben, wie jene im Bild von 1920 auf der Maienfelder Alp Nova. Es gibt aber auch Vermutungen, dass die Gräben auf der Vorderalp bereits früher angelegt wurden.
Historische Aufnahme von Entwässerungsgräben in Maienfeld um das Jahr 1920.
Bild: Staatsarchiv Graubünden /StAGR-FN XXV/010 Oscar Good: Maienfeld / Alp Nova, Drainage
Das gewünschte Resultat blieb aus. Die typische Moorvegetation verschwand und der Pflanzenbestand nahm ab. Zusätzlich wurde mit der Trockenlegung des Torfkörpers grosse Mengen an CO2 und anderen Treibhausgasen freigesetzt.
Der während der Regeneration gestaute Entwässerungsgraben zeigt das Wasserniveau im umliegenden Torfboden an.
Bild: Erik Olbrecht
Bereits im Jahre 2018 wurden im Südteil des Flachmoores erste Regenerationsmassnahmen durchgeführt. Entwässerungsgräben wurden verschlossen und eingestaut. Schnell zeigte sich, dass die Massnahmen erfolgreich waren. In den eingestauten Gräben siedelte sich rasch die typische Flachmoorvegetation an. Darunter zählen zum Beispiel Wollgräser und Moorenziane. Als weitere Massnahme wurden mit einem Bagger sogenannte Spundwände (Holzwände) in den Torf getrieben. Diese sollen das abfliessende Wasser aufstauen, damit der Torfkörper mit Wasser bedeckt bleibt.
So sahen die Arbeiten während der Moorrevitalisierung aus.
Links: Spundwände werden in den Torf getrieben. Rechts: Mit Torf verfüllter Entwässerungsgraben.
Bilder: Erik Olbrecht
In einer zweiten Etappe, die am 29. Juni 2024 offiziell beendet wurde, fanden weitere Arbeiten statt. Die Sohle eines Bachlaufs, welcher sich zwei Meter tief in den Torf eingegraben hatte, wurde angehoben. Weiter wurden zahlreiche Entwässerungsgräben mit Torf gefüllt. So soll der Wasserhaushalt im Moor wieder hergestellt werden.
Von Oben sind die einzelnen Spundwände gut sichtbar. Sie stauen den ehemaligen Abfluss horizontal.
Bild: Flurin Grass
«Langfristig wäre das Ziel sicher, dass der ganze Torfkörper durchnässt wird. Dadurch kann das Moor wieder leben. […] Super wäre natürlich, wenn man auch wieder ein Moor hätte, welches wachsen kann und wieder Kohlenstoff speichert». Auch wenn der Geograf solche Wünsche äussert, bleibt er realistisch: «Ich denke nur schon, wenn wir den Status Quo halten können, verhindern wir, dass sehr viel Kohlenstoff wieder in die Luft gelangt. Gleichzeitig tun wir etwas für die seltenen Arten. Das wäre schon ein grosser Erfolg aus meiner Sicht».
Fenster in die Vergangenheit
Bereit für den Einsatz: Markus Camastral mit dem Moorbohrer.
Bild: Flurin Grass
Ausgerüstet mit Hammer, Moorbohrer und Zollstock macht er sich daran, den anwesenden Besucherinnen und Besuchern die Moorlandschaft zu erklären. Er wirkt enthusiastisch, sobald er sein Wissen weitergeben kann und strahlt, wenn die Zuschauenden ihre Fragen stellen.
Nachdem der Bohrer zusammengebaut ist, schlägt Markus Camastral ihn ins Erdreich. Der Weg in die Tiefe des Bodens ist relativ unbeschwerlich, spätestens wenn der mitgebrachte Hammer zum Einsatz kommt. Anders sieht es beim Herausziehen aus. Je nach Tiefe sind bis zu drei Personen notwendig, um den Bohrer wieder aus dem Torf zu ziehen. Wie es genau funktioniert erklärt der Geograf selbst.
Sobald der Moorbohrer wieder an der Oberfläche ist, wird der Torf ein erstes Mal sichtbar. Im Grunde besteht die braune Masse aus abgestorbenem, organischem Material. Weil im Torf der Sauerstoff fehlt, wird das Pflanzenmaterial nicht zersetzt. So öffnet sich ein Fenster in die Vergangenheit. Auch in Maienfeld wird Markus Camastral fündig. Mit dem Hinaufziehen des Bohrers kommt auch eine Säule aus altem Erdreich und Torf zum Vorschein.
Auf der Vorderalp ist der Torfkörper bis zu vier Meter tief. Entsprechend alt ist das gefundene Material. «Wir können hier das Alter nicht genau bestimmen, da müsste man gewisse Bestimmungsmethoden im Labor durchführen. Als Faustregel gilt aber: Für einen Millimeter Torfwachstum braucht es ein Jahr». Der Geograf rechnet schnell im Kopf nach: «Hier mit 4 Metern Tiefe haben wir also grob geschätzt rund 4000 Jahre altes Material».
Bild: Flurin Grass
Bild: Flurin Grass
Bild: Flurin Grass
Bild: Flurin Grass
Der gefundene Torf stammt also aus einer Zeit, in der in Ägypten noch Pharaonen herrschten, die letzten Mammuts über den Planeten liefen und die Geburt Christus noch weit entfernt war. Beim genaueren Betrachten fällt auf, die Pflanzenreste im Torf sind teilweise noch sehr gut erhalten. Einzelne Blätter oder Halme können erkannt werden. Markus Camastral, der bei einem auf Moorschutz spezialisierten Büro in Uster arbeitet, nimmt den Torf aus dem Bohrer und gibt den Besucherinnen und Besucher jeweils ein Stück in die Hand. «Man kann viel über das Moor erzählen, es ist aber noch viel besser, wenn man jedem ein Stück Torf in die Hand gibt und sagt, dass ist jetzt das um was es geht».
Für eine genaue Bestimmung der Pflanzen fehlte an diesem Tag aber die Zeit. Der Geograf führt aber aus, dass im Torf viel nachvollzogen werden kann. Abgesehen von der ehemaligen Flora fände man an gewissen Orten alte Wälder, Hinterlassenschaften der Pfahlbauer und teilweise auch sogenannte Moorleichen.
Das Werkzeug des Geografen: Im Vordergrund der Moorbohrer, im Hintergrund der Hammer.
Bild: Flurin Grass
Moor ist nicht gleich Moor
Oder anders gesagt: Es gibt unterschiedliche Typen von Mooren. Auf der Vorderalp in Maienfeld befindet sich ein Flachmoor. Zusätzlich gibt es noch Hochmoore und sogenannte Übergangsmoore. Was alle Formen gemeinsam haben, ist laut Markus Camastral, die Verbindung von Land und Wasser: «Eigentlich ist es ein ganz spezieller und interessanter Lebensraum. Es ist etwas zwischen Land und Wasser. Ein Stück Land, das dauernd im Wasser steht».
Das Moor in Maienfeld ist ein gutes Beispiel für ein Flachmoor. Das Wasser kommt von den Quellen aus dem Berg und durch den direkten Niederschlag. Gleichzeitig gibt es im Boden eine wasserundurchlässige Schicht. Das Moor befindet sich also über einer Art Badewanne. So kann schlussendlich auch die Moorentwicklung stattfinden.
Der Bach am rechten Berghang (vertikale Linie aus grauen Steinen) speist das Moor mit Wasser.
Bild: Flurin Grass
Pflanzen wachsen im stehenden Wasser und sterben ab. Im Anschluss sinken die abgestorbenen Pflanzen im Wasser auf den Grund. Weil der Sauerstoff fehlt, zersetzen sie sich praktisch nicht. Mit der Zeit überlagern sich die Schichten an toten Pflanzen und bilden den Torfkörper. Wie der Spezialist weiter ausführt: «Es ist im Grunde nichts anderes als sehr viel und sehr dicht gelagertes organisches Material».
Dieser Vorgang hat der Westdeutsche Rundfunk Köln in einem Video zusammengefasst (Achtung: Niedermoor ist ein anderer Ausdruck für ein Flachmoor).
Durch die ausbleibende Zersetzung bindet der Torf den Kohlenstoff der Pflanzen. So entstehen riesige CO2-Speicher. Mit der Trockenlegung und Zerstörung der Moore können grosse Mengen an Treibhausgasen wieder in die Atmosphäre gelangen. Allein in der Schweiz verursachen landwirtschaftlich genutzte und entwässerte organische Böden Emissionen von gut 600 000 Tonnen CO2 jährlich (Zum Vergleich: Entspricht dem jährlichen CO2-Ausstoss von gut 150 000 Personen in der Schweiz).
Das Moor fungiert aber nicht nur als Kohlenstoffsenke und Lebensraum, sondern ist wichtig für den Wasserhaushalt eines Gebietes. Ein intaktes Moor gibt das Wasser langsam und dosiert an die Umgebung ab. So können die Moore vor allem in Trockenperioden den Wasserhaushalt ausgleichen.
Auch auf der Vorderalp wird das Wasser wieder gespeichert.
Bild: Flurin Grass
Auf die Frage ob alle Moore nun renaturiert werden sollten, antwortet der Geograf gespalten: «Ich glaube bei den Mooren die nachhaltig zerstört wurden, so dass der Torfkörper praktisch fehlt, wird dies ganz schwierig. Es wären riesige Eingriffe in die Landwirtschaft». Wichtig sei jetzt am richtigen Hebel anzusetzen. «Momentan geht es darum, dass die Flächen, in denen es noch Torf gibt, wieder vernässt werden. So, dass wenigstes der Rest den es noch gibt, bestehen bleibt».
Das Wunschbild: Intaktes Flachmoor mit Orchideen und Wollgräsern.
Bild: Markus Staub